Mit eigenartiger Fröhlichkeit war ich schnell die Treppen hochgesprungen. Hatte immer 2 Stufen auf einmal genommen und Hades war mir gefolgt, auch wenn er einmal gestolpert war und die Hälfte der Treppe wieder runtergepurzelt. Ich war nur kurz angehalten bis er wieder zu mir aufgeschlossen hatte und war dann weiter gelaufen. Schnell lief ich den Flur entlang und öffnete vorsichtig unsere Zimmertür, was mir Hades nicht gerade erleichterte. Denn der hatte die tolle Gewohnheit immer sofort in irgendwelche Räume rein zu rennen, sobald die Tür auch nur einen Spaltbreit offen ist. So flog mir die Tür aus der Hand und schlug gegen die Wand. "Hades.", schimpfte ich genervt, doch der rannte nur zu seinem Körbchen und riss seine Decke raus. Ich sah mich kurz um. Dena war hier nirgends zu sehen, nicht auf den ersten Blick, aber ihr Bett war zerknüllt, nicht mehr so ordentlich wie sie es heute morgen gemacht hatte. "Dena?", fragte ich leicht hilflos und drehte mich schon fast wieder zum Gehen um, als ich die Dusche aus dem Bad hörte. Eigentlich müsste ich mir keine Sorgen machen, schoss es mir durch den Kopf, aber Dena wäre nicht mehr hier, wenn dieser Elijah sie damals nicht glücklicherweise vorm Tod gerettet hatte. Nach dem Tod meiner Schwester und von Marc und so vielen anderen meiner Freunde, die ich hier so gefunden hatte, hatte sie es sich zur Aufgabe gemacht auf mich aufzupassen, denn ich war nicht in bester Verfassung... bestes Beispiel war dafür heute morgen gewesen. Aber ich hatte so ein schlechtes Gefühl, dass ich einfach nachsehen musste. Mit ein paar Schritten war ich an der Tür und klopfte: "Dena, ich komme rein." Meine Stimme klang so unnatürlich sorgenvoll. Ich war früher nie einer der Menschen gewesen, die sich sonderlich viel sorgten. Ich drückte leise die Klinke runter und machte die Tür auf. Erst auf den 2. Blick sieht sie Dena auf dem Boden sitzen. "DENA!", rief ich geschockt aus und war mir dabei sicher, dass man mich wahrscheinlich auch unten noch hören konnte. Schnell war ich bei meiner Freundin und machte zunächst mal das kalte Wasser aus. "Mensch, Dena.", murmelte ich und holte schnell erstmal ein paar Handtücher. "Du musst die nassen Sachen ausziehen!", sagte ich und verließ schnell das Bad, um ihr ein paar warme, trockene Sachen zu suchen und sie schnell ins Bad zu schmeißen, ehe ich die Tür schloss, damit sie sich in Ruhe umziehen konnte.

Mit zusammen gekniffenen Augenbrauen und schweigend setzte ich mich neben sie. Dena hatte auch nicht immer ein leichtes Leben gehabt. Naja, wenn man das so sieht, hatte das hier eigentlich nie irgendwer gehabt. Und mich traf es eigentlich noch ganz gut, denn ich hatte noch Alex und Dena. Doch nachdem Dena geendet war, blieben ihr eigentlich keine Personen mehr außer mir. Wenn Josh wirklich weg war, dann hatte sie nur noch mich... Und ich war nicht wirklich eine gute Freundin gewesen in letzter Zeit. Man erinnere sich an heute Morgen. Ich mein, mir gehts auch nicht gut, aber vielleicht habe ich übertrieben? Sind ihre Verluste vielleicht schlimmer als meine? Ich habe noch Alex, ich könnte mir ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen. Was wenn er nun anstelle von Josh hätte gehen müssen? Was wäre dann aus mir gewesen? Ich wäre ein Wrack. Ich würde verrückt werden und nichtmal Dena würde mir helfen können. Nicht mal Zeit könnte diese Wunde heilen, denn sie wäre einfach zu groß. Hätte mich entzwei gerissen. Wenn ich so darüber nachdenke, kommen mir die Tränen. Langsam rollen sie mir die Wangen runter, doch so schnell sie kamen, sind sie auch schon wieder weg. Ich muss jetzt stark sein und mich nicht abbringen lassen. Dena braucht mich jetzt und Alex ist ja auch noch da. Zumindest rede ich mir das ein. Wer weiß, es könnte ja auch sein, dass er gerade wen besseres als mich kennengelernt hatte. Jetzt gerade. In diesem Moment, wo ich mich um Dena kümmere. Ich hatte ihm ja auch wehgetan. Die Sache mit dem Kind und dann das während er im Koma lag... Wieso bin ich so? Warum bin ich so ein schlechter Mensch? Ich tue allen nur weh.. Vielleicht sollte ich versuchen wenigstens versuchen jetzt für Dena dazusein. "Es tut mir Leid.", konnte ich nur von mir geben, ehe ich dann auch schon selbst in Tränen ausbrach und ihr meine Arme um den Hals warf und sie umarmte. "Ich weiß, dass ich eine schlechte Freundin war Dena, aber jetzt bin ich für dich da. Glaub mir, es wird alles besser.", brachte ich raus, wohlgewahr wie abgedroschen das klang.

Ich schüttelte den Kopf. Eigentlich stimmte es ja was sie sagte, doch ich wollte mich nicht so sehen. Nicht, dass ich die 'Gute' war. Ich hab sie oft genug verletzt oder ihr oft genug was vorgemacht. Ich war nie in meinem verdammten Leben die 'Gute' gewesen. Immer hatte ich Fehler gemacht, Menschen, die mir vertrauten hintergangen und mich im Nachhinein wieder in ihr Leben geschlichen und ihnen weiß gemacht, sie wären Schuld gewesen. Ich war nie die Gute gewesen. 'Wir kriegen das hin.', beendete Dena ihre kleine Ansprache. "Wir kriegen das hin.", wiederholte ich und lächelte leicht. Doch ich wusste, dass ich irgendwas ändern musste. Ich konnte nicht allen Leuten wehtun, denen ich was bedeutete. Ich konnte nicht alle wegstoßen, auch wenn ich wollte. Und ich konnte nicht einfach anderen die Schuld daran geben, wie mein Leben ausgegangen war. Auch wenn ich es wollte, fair war es noch lange nicht. Das Lächeln war schon lange wieder von meinen Lippen verschwunden und ich nahm meine Jacke von der Stuhllehne. "Wir kriegen das hin.", wiederholte ich. "Ich krieg das hin." Meine Gedanken schweiften wieder ab. Zu Alex, der ja unten auf mich wartete. Wartete... Da fiel mir wieder ein wieso ich ja überhaupt hierher gekommen war. "Kommst du mit raus?", fragte ich blindlings und starrte die Tür an, durch die ich noch vor ein paar Minuten gekommen war. Hades hatte sich schon wieder davor gesetzt und wartete hechelnd. Ich musste was ändern, ich musste mich ändern. Das ging mir immer wieder durch den Kopf und ich konnte spüren, wie meine Augenwinkel nass wurden. Schnell und vorsichtig, um mein Make-up nicht zu verwischen, wischte ich sie weg. Ich darf nicht so sein. Ava, das hast du dir selbst zu zu schreiben, du bist diese schreckliche Person. Du hast das deinen Mitmenschen angetan. Du bist Schuld, dass Alex im Koma lag, weil er angeschossen wurde. Genauso wie Zoey auch. Du bist Schuld, dass Hope tot ist. Du hättest eine bessere Schwester sein können. Du bist Schuld, dass Marc tot ist. Du hättest eine bessere Freundin sein können. Du bist Schuld, dass Hydra weg ist. Du hättest auf sie aufpassen müssen. Es ist alles deine Schuld. Der ganze Scheiß, der hier passiert ist. Du bist Schuld daran. Merkst du das denn nicht?! Das war der Moment in dem ich nach meinem inneren Monolog schluchzend auf dem Boden zusammenbrach.

Ich wollte nichts von dem hören, was Dena zu sagen hatte. Sie würde versuchen mir das Schuldgefühl zu nehmen, das Gefühl mit dem ich mein Leben leben musste und leben wollte. Ich wollte kein verlogener Mensch mehr sein. Ich wollte ich sein. Ohne Lügen oder irgendwelche weiteren schlimmen Sachen an denen ich Schuld war. Ich hatte genug getan. Ich habe genug Leuten wehgetan. Mein Unterbewusstsein lag schon zertrampelt auf dem Boden, meine Seele war schon schwarz wie die Nacht und mein Herz gebrochen. Ich wollte nicht mehr. Ich konnte nicht mehr. Doch ich musste mit der Schuld leben. "Ich hab sie alle auf dem Gewissen. Ich bin an allem Schuld. Sie haben alle so schreckliche Sachen durchgemacht und ich bin daran Schuld. Alex und Celina wären nicht angeschossen worden, wäre ich nicht gewesen. Wäre ich nicht auf die Idee gekommen auszubrechen. Wäre ich eine bessere Schwester gewesen, würde Hope noch leben. Wäre ich eine bessere Freundin gewesen, wäre Marc nicht tot und du hättest nicht versucht dich umzubringen. Hätte ich besser auf Hydra augepasst, wäre sie nicht weg oder tot oder wo auch immer sie ist. Wäre ich nicht auf dieser Welt hätte euer Leben so viel besser ausgesehen!", schrie ich, insofern ich zwischen den Schluchzern denn Schreien konnte. "Du brauchst mir nichts anderes erzählen, ich weiß, dass es so ist. Hol mir einfach ein Messer, damit ich das beenden kann.", murmelte ich leise und machte mir nichteinmal mehr die Mühe mir die Tränen von den Wangen zu wischen. Mir war es egal, dass Alex unten wartete. Er wäre ohne mich ohnehin immer besser dran gewesen. Vielleicht hatten meine Albträume ja doch immer Recht gehabt und er hätte lieber mit Dena zusammen kommen sollen. Sie wäre nicht auf die Idee gekommen auszubrechen. Sie wäre nicht schwanger geworden, nur um das Kind im Endeffekt wieder zu verlieren. Mir war es egal, dass Hades erschrocken neben mir japste und dass mein Makeup total verschmiert war. Ich wollte das alles einfach nichtmehr. "Alles was ich je getan habe, ist euch wehzutun.", schluchzte ich. "Bitte, lass mich das einfach beenden." Mit glasigen Augen sah ich sie an.

Wiederwillig schlug ich meinen Kopf von einer Seite auf die andere. "Nein. Nein. Nein.", nuschelte ich. 'Ich bin an allem Schuld. Versuch nicht mir das auszureden, Dena." Doch dann schlug sie mich und ich schluchzte erneut los. Lauter als davor sowieso schon. Ich wollte einfach nichtmehr, wieso sah sie das nicht. Entsetzt keuchte ich auf als mir eine Schere entgegen flog und in meinem Schoß landete. Was sagte sie? Das einzige Mal, dass ich ihnen wirklich weh tun würde? Aber ich wusste doch, dass das nicht wahr war. Ich wusste doch, dass das nicht stimmte. Mit zitternden Händen nahm ich die Schere in meine Hand und hielt sie von mir weg. Die Spitze auf mich gerichtet, zielend auf meinen Bauch. Da hielt ich inne. Ich wusste, dass ich das eigentlich nicht tun wollte. Doch irgendwas in mir sagte mir, dass ich musste. Ich musste das tun. Ich wäre wieder mit Hope vereint. Mit Bree, Marc und all den anderen Leuten, die während meiner Zeit hier mehr oder weniger meine Freunde geworden waren und wenig später im Krieg gestorben sind. Ich weiß, dass ich nicht will. Ich weiß es. Meine roten Augen liefen an meinen zitternden, angespannten Armen entlang und hielten an der im Licht blitzenden Spitze der Schere an. Ich wollte das alles nie. Ich hab mir dieses Leben nie ausgesucht. Ich wollte einfach nur die Schule beenden, studieren und einen Beruf finden. Heiraten und Kinder kriegen. Alt werden und einschlafen. Ich will mein Leben nicht so beenden, aber ich will auch nicht für immer hier sitzen. Innerhalb eines klitzekleinen Augenblicks hatte ich die Schere weggeworfen, war aufgestanden und zur Tür raus, die ich hintermir zugeschlafen hatte. Wo sollte ich hin? Vielleicht fing ich an mich bei allen noch verbliebenen Leuten zu entschuldigen, ehe ich mich wieder auf meinem Zimmer einschließen konnte und beenden was Dena mir doch gerade so bereitwillig zugelassen hatte. Wo fing ich an. Vielleicht bei der Person, die ich über alles liebte und die unten sowieso schon auf mich wartete? Bei der Person, die mir verziehen hatte, dass ich unser Kind verlor, dass ich sie betrogen hab.

[tbc. Speisesaal]